Als Betreuer bei der UCI MTB Marathon World Championship
Ein Erfahrungsbericht von Ralf Dohrn als Papa, Flaschenträger und Betreuer:
Bergisch Gladbach, Juni 2017, einige Tage vor dem Rennen
Für die Elite-Marathon-Fahrerinnen und -Fahrer ist die Weltmeisterschaft ist das wichtigste Eintagesrennen des Jahres. 2017 findet die WM in Deutschland statt, in Singen am Bodensee. Ein Blick auf die Startliste zeigt, dass es die am beste besetzte WM aller Zeiten ist. 77 Frauen haben genannt und 180 Männer. Alles was Rang und Namen hat, wird mit dabei sein: die amtierende Weltmeisterin (XCO) Annika Langvad, die amtierende Weltmeisterin (XCM) Jolanda Neff, die zweifache Weltmeisterin und Olympiasiegerin Sabine Spitz, die 10fache Weltmeisterin und Olympiasiegerin Gunnrita Dahle-Flesjaa, die Weltmeisterin und dreifache Cape-Epic-Gewinnerin Esther Süß, die 5fache Cape-Epic-Gewinnerin Ariane Lüthi, die Gewinnerin der Crocodile-Trophy (Australien) Alice Pirard und viele nationale Meisterinnen. Alle die sich zur WM qualifiziert haben, sind es gewohnt, bei ihren Rennen ganz vorne dabei zu sein, aber bei einer WM ist die Konkurrenz riesengroß und wenn man eine Minute verliert, kann dies ein Zurückfallen um mehre Plätze bedeuten. Was kann man bei so einem starken Feld für Stefanie erhoffen? Mein MTB-Auswertesystem sagt Platz 34 voraus. Zu optimistisch?
Die Strecke ist 80 km lang (1500 Höhenmeter), sie besteht aus einer kleinen Schleife (31 km) und einer großen (49 km). Es wird 4 Feedzonen geben, wobei FZ1 und FZ4 identisch sind, FZ2 liegt im Start/Ziel-Bereich und FZ3 liegt am weitesten weg von Singen liegt. Es wird möglich sein, zwischen FZ1/FZ4 und FZ3 zu pendeln, eventuell sogar per MTB. Allerdings werden wir 2 Betreuer benötigen, einen in Singen (Start, FZ2, Ziel), und einen für die FZ1, FZ3 und FZ4.
Bergisch Gladbach, 3 Tage vor dem Rennen
Es wird für mich die zweite WM als Betreuer von Stefanie, diesmal sind wir sogar ein Betreuerteam, denn meine Frau Anke ist dabei. Steffi hat fast allein gepackt und drei Mountainbikes, Werkzeug und das Reisegepäck von drei Personen in unseren Ford S-Max verstaut. Statt 1200 km nach Laissac in Südfrankreich sind es diesmal nur gut 500 km zu unserem ersten Quartier für die erste Nacht.
Rielasingen, 2 Tage vor dem Rennen
Heute steht Anke im Mittelpunkt, denn es jährt sich – zum wiederholten Mal – ihr 39. Geburtstag. Zu meinem Glück wünscht sie sich für diesen Tag eine Mountainbiketour, mit einem Abstecher in die Schweiz, mit tollen Aussichten und Bergen, die steiler und länger sind, als wir es uns vorgestellt hatten. An diesem Tag sind die Helferrollen vertauscht und Stefanie übernimmt den Hotel- und Gepäcktransfer in unser schon lange im Voraus gebuchtes Rennquartier, einem Hotel im Zentrum von Singen, das nur 1 km vom Start entfernt liegt.
Singen, 1 Tag vor dem Rennen
Beim Weg zum Frühstück bemerken wir zwei Dinge: 1. Es wird im Hotel wohl kein Frühstück geben, denn alles ist verschlossen und 2. Es gibt noch mehrere andere WM-Teilnehmerinnen in unserem Hotel, unter anderen Sandra Santanyes, der Siegerin des Andalucia Bike Races. Sandra spricht nur Spanisch, versteht aber mein gebrochenes Portugiesisch und erklärt uns, dass sie mit ihrem Begleiter in der Stadt gefrühstückt hat. Das machen wir auch, sehr nett in einem Straßencafé. Dann ging es los mit den Vorbereitungen. Steffi fährt einen weiteren Teil der Strecke ab, und ich fahre mit dem Rad zu den Feedzonen und kreuze dabei die Rennstrecke. Welche Fahrerin erkenne ich als erstes: Jolanda Neff, unverkennbar mit den langen blonden Locken. Ganz schön beeindruckend die vielen Nationaltrikots zu sehen. Da ist eine ganze Gruppe in Orange, bei den Holländerinnen sehe ich die 5malige XCO-Meisterin Laura Turpijn und die dreifache Niederländische XCM-Meisterin und Cape-Epic-Fahrerin Hielke Elfering, die wir aus mehr als 20 gemeinsamen Rennen seit der NRW-Cup-Saison 2011 kennen.
Dann geht es dreimal vom Hotel zum Startbereich: zum Abholen der Startunterlagen, zur Vorbesprechung mit dem MTB-Bundestrainer Speedy Schaub und nach der Teamleiterbesprechung zur Ausgabe der Feedzonenakkreditierungen. Zwischendurch erkunden wir per Rad eine Alternativroute zur FZ1, denn es steht zu befürchten, dass einige Straßen am Renntag gesperrt sein werden.
Die Startaufstellung wird nach dem aktuellen Ranking der UCI Marathon World Serien erfolgen. Nachdem sich Steffi schon früh für die WM qualifiziert hatte, verzichtete sie aufs weitere Punktesammeln in der Serie und hat nur die Startnummer 51, d. h. dass 10 Reihen a 5 Frauen vor ihr stehen werden, das riecht nach Gedränge und Sturzgefahr.
Abends nach dem Essen treffen wir in einer Eisdiele das Topeak-Ergon-Betreuerteam, u. a. mit Torsten. Team-Manager Dave Padfield ist gut gelaunt und macht Steffi und Anke nette Komplimente.
Die Nachtruhe vor dem Renntag ist nicht ungetrübt, denn auf der Straßenseite gegenüber wird lange gefeiert, und wegen der Hitze muss das Fenster offen sein – Ohropax hilft.
Singen, Tag der Weltmeisterschaft
Heute gibt es sogar Frühstück im Hotel, dafür ist unser S-Max gleich doppelt zugeparkt. Steffi hat die Idee, dass es Hotelangestellte sein könnten, die uns blockieren. Richtig. Auschecken aus dem Hotel, Steffi fährt sich ein, ich fahre mit Anke zum Startbereich, und habe sogar etwas Zeit die Atmosphäre zu genießen. Aber noch vor dem Start fahre ich zur FZ1, Anke übernimmt die Startbetreuung. Zum Glück gibt es auf der gewählten Route keine Straßensperre. Schnell das Auto parken und per MTB, beladen mit Getränken und Werkzeug, verpackt in 2 Rucksäcken, in die eigentliche Feedzone fahren. Die Marathonbetreuer werden das „Hurry-and-Wait Team“ genannt. Nach dem Eilen kommt nun das Warten. Wie ist wohl der Start gelaufen? In welcher Gruppe kommt Steffi vorbei? Kurz vor dem Eintreffen der Spitze kommt der Betreuer von Sabine Spitz in die Feedzone gelaufen. Die erste Gruppe ist sehr, sehr früh durch. Schnitt über 30 km/h! Wieviele waren es? 25? Steffi kommt als zweite der Verfolgergruppe, ca. 1 Minute hinter der Spitze. Flasche übergeben – geklappt. Anfeuern. Kurz durchschnaufen und freuen, so 10 Sekunden. Schnell Text-Nachrichten an Torsten und Anke durchfunken. Der Betreuer von Sabine Spitz regt sich auf: Wegen des Verkehrs war er spät angekommen, hat Sabine verpasst und auch von den BDR-Betreuern hat sie keine Flasche bekommen? Ich habe andere Sorgen – Hurry – schnell alle Sachen in die Rucksäcke packen, aufsitzen und per MTB auf Feldwegen zur FZ3. Alles auspacken. Torsten ist auch in dieser Feedzone für die Topeak-Ergon-Fahrer. Wait. Aus der FZ2 (Start/Ziel) erfahre ich von Anke, dass Steffi immer noch in der Verfolgergruppe ist. Wait. Da kommen sie. Die Abstände sind geblieben. Flasche erfolgreich übergeben. Das sieht gut aus. Nun ist die Zeit knapp um zur letzten Feedzone zu kommen. Der schnellste Weg führt über einen Abschnitt der Rennstrecke, auf der sich jetzt Hobby-Fahrer befinden. Ich fahre lieber einen kleinen Umweg über einen Feldweg und komme rechtzeitig in die Feedzone. Die Spitzengruppe ist gesprengt, da wurde wohl ordentlich das Tempo angezogen und nun kommen die Fahrerinnen einzeln und in Minigruppen an. Das macht es leichter zu zählen. „Steffi, super! Du liegst ca. Platz 25!“ Sie nickt und lächelt. Die letzte Flasche ist übergeben. Vielleicht schaffe ich es noch rechtzeitig bis ins Ziel? Mit dem Rad zum Auto und ca. 12 km ins Zentrum von Singen fahren. Parkplatz finden. Der Sprecher kündigt einen Zweikampf zwischen Annika Langvad und Sabine Spitz an … und tatsächlich wird die dänische XCO-Weltmeisterin auch XCM-Weltmeisterin. Gunnrita Dahle schnappt auf dem letzten Kilometer der Titelverteidigerin Jolanda Neff die Bronzemedaille weg. Alles ist voller Zuschauer, mit etwas Geduld finde ich einen Platz von dem ich den Zieleinlauf sehen kann. Die deutsche Meisterin, Silke Ulrich, kommt als Achte ins Ziel. Daumen drücken, bloß kein Sturz oder Defekt auf den letzten Kilometern! Der Sprecher hält die Zuschauer auf Spannung: „Am letzten Berg ist jetzt die nächste Deutsche angekommen, Stefanie Dohrn auf Position 24.“ Nun kommen die Fahrerinnen im 20-Sekunden-Takt ins Ziel. „… und die deutsche Vizemeisterin, Stefanie Dohrn kommt jetzt ins Ziel, auf Platz 23.“ Kurz danach kommt Sandra Santanyes. Ich diffundiere durch die Zuschauer in den Auslaufbereich, wo sich gerade Steffi und ihre Swiss-Epic-Partnerin Alice Pirard umarmen … und ich darf mitmachen … und Anke kommt auch dazu. Alles gut. Die Freude wird noch größer als die Herren ins Ziel kommen. Der von Torsten physiotherapeutisch betreute Alban Lakata wird zum dritten Mal Weltmeister! Große Freude beim Topeak-Ergon-Team und wir freuen uns mit. Eine Zuschauerin, eine ältere Dame aus Singen, interessiert sich sehr für Stefanie und fragt am Ende, ob sie ein Foto machen darf. Gerne.
p.s. Meine Vorhersage mit dem MTB-Auswertesystem lag diesmal 11 Plätze daneben. Macht nichts!
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